Kammertöne

Kammertöne ist ein Kompositionsprojekt, das die Bielefelder Künstlerin Angelika Höger initiiert und eng mit den anderen Musiker*innen des Cooperativa Ensembles seit 2020 entwickelt.

Bewusst ist diese Formulierung im Präsens gehalten, da die Kammertöne kein abgeschlossenes Opus bilden. Vielmehr entwirft Angelika Höger Ausgangspunkte, von denen her sich Klänge und Objekte im Raum entfalten, selber Töne werden und zugleich Musiker*innen als Grundlagen, also im weitestmöglichen Sinn als Partituren dienen.

Als bildende Künstlerin setzt Angelika Höger in ihrem Schaffen einen Schwerpunkt bei Rauminstallationen und kinetischen Objekten. Oft verwendet sie umgenutzte Alltagsgegenstände verfremdend beim Aufbau. Diese Arbeit an der Plastik entsteht immer mit dem Raum, in dem sie installiert ist. Die Bewegung der Arbeiten oder einzelner Teile / Elemente öffnet dabei die räumliche Dimension in die Dimension der Zeit. Und zugleich wird so die Bewegung im Raum häufig zu Klang, Klängen.
Angelika Höger stellt die Frage, was passiert, wenn sie ihre eigene Handschrift aus dem Spiel mit den Objekten wieder herausnimmt oder ganz leise einstellt? Raum, Zeit und die diese Dimensionen verbindende Bewegung noch nicht Klang sind, sondern eben noch zu Klang werden können / könnten. Noch auf das Hören, gehört werden warten.
Das Ensemble und seine Mitglieder widmen sich neben der Aufführung stets auch der Erforschung des Klanglichen an sich. Und in diese angewandte Forschung hinein stellt Angelika Höger nun ihre Objekte, Installationen diese raumbezüglichen Plastiken. Und befragte ihre Objekte und die Mitmusiker*innen.
Was empfinden die anderen Mitglieder des Cooperativa Ensembles? Was hören sie möglicherweise schon in dem, was sie sehen, im Raum selber erfahren? Welche Impulse geben sie ihnen? Wie können sie mit ihrem eigenen Instrumentarium auf sie reagieren? Was für Dialoge können hier entstehen? Was entdecken sie im Klang? Was erfahren sie über das Hören (und Sehen)?
Im engen Dialog mit den einzelnen Ensemble Musiker*innen entwickelte Angelika Höger 2020 und 2021 mehrere speziell abgestimmte klang-erzeugende Objekte, Plastiken und Installationen. Dabei war der Bezug auf die jeweiligen Instrumente, ja auf die musikalischen Biografien und Schwerpunkte der beteiligten Ensemble Mitglieder entscheidend. So wurde dieser Bezug gleichwertiges Material der Installationen und in sie hinein verwoben. Damit entwickelte sich die Musikalität derMusiker*innen zu einer weiteren Dimension in Högers Arbeiten.
Diese Arbeiten sind weit gefächert. Einige werden mit Hilfe von Motoren in Bewegung gebracht, in Schwingung, andere durch den Luftzug von Ventilatoren bewegt. Eine kinetische Zeichenmaschine etwa zeichnet abstrakte Bilder, die von den Musiker*innen als Partituren genutzt werden können. Ein anderes Objekt projiziert mit Hilfe eines Overheadprojektors eine sich stetig wandelnde Partitur auf eine Wand.
Die Musiker*innen des Ensembles konnten einerseits ganz unmittelbar mit den Objekten interagieren. Mit anderen gab es ausführliche Gespräche im Vorfeld, so dass die Installationen erst anschließend individuell entwickelt wurde. Anders wiederum gingen jene damit um, die sich alleine in Stille – auch im Proberaum erst einmal alleine mit dem Objekten befassten und dann musikalisch reagierten.
So vielfältig die Installationen, so verschieden die Art wie Musiker*innen sich diese anverwandten und sich ihnen zuwendeten so verschieden klangen die Kammertöne.

Im Herbst 2020 konnte dann (unter pandemischen Bedingungen) eine erste Aufführung realisiert werden. In Kooperation mit dem Bielefelder Künstler*innenhaus Artists Unlimited entstand in den dortigen Galerieräumen ein Klanglabor, das die Ensemblemitglieder für mehrere Wochen nutzten. Dort fanden dann mehrere öffentliche Gesprächskonzerte statt. Solche Konzerte konnten nur vor Minimalpublikum (3 Personen) stattfinden. Allerdings führte diese Aufführungspraxis zu sehr intensiven Zuhören und Austausch. Die musikalischen Interventionen des Ensembles und die Konzerte wurden durch Audioaufnahmen, Fotos und Filme dokumentiert.

Im Sommer 2021 war dort die Ausstellung „Kammertöne“ zu sehen und zu hören. Hier wurden die Klang- und Zeichenmaschinen, sowie eine Auswahl an Audioaufnahmen von Interaktionen der Musiker*innen des Cooperativa Ensembles öffentlich präsentiert.

Ende 2021 waren die Arbeiten in der Ausstellung „Kammertöne – vom Erinnern“ in der Alten Synagoge in Lippstadt zu sehen und zu hören. Hier wurden die Objekte zu einem interagierenden Orchester arrangiert. Als Rahmenprogramm der Ausstellung gab es eine musikalische Performance, ein Künstler*innegespräch und einen Workshop zur Klangerzeugung und musikalischen Improvisation mit Alltagsgegenständen.
Die Entwicklung der Kammertöne als Komposition ist nicht auf einen Schluss-Akkord angelegt. Vielmehr möchte das Ensemble die Interaktion mit den Installationen in weiteren Räumen und unter anderen Bedingungen weiter entwickeln. Eine Aufführung der Kammertöne ist immer dort möglich, wo für eine Zeit Raum und Räumlichkeiten sind und wo sich – wie auch immer – eine Möglichkeit für das Zuhören eröffnet.

Kammertöne: vom Erinnern

Ausstellung in der Alten Synagoge Lippstadt
Objekte der Kammertöne waren im Dezember 2021 in der Ausstellung „Kammertöne: vom Erinnern“ in der Alten Synagoge Lippstadt zu sehen und zu hören. Hier agierten sie optisch und akustisch miteinander innerhalb einer ortsbezogenen Rauminstallation.
Rauminstallation: Angelika Höger
Kurator: Dirk Raulf
Video-Aufnahmen: Holger Künemund

Zeichnung als Partitur

Mit Hilfe einer aus einem langsam laufenden Grillmotor und einem Hamsterlaufrad konstruierten Zeichenmaschine entstanden über einen längeren Zeitraum hinweg abstrakte Zeichnungen auf Papier. Die Pianistin Djamilija Keberlinskaja-Wehmeyer nutzte eine dieser Zeichnungen als Partitur. Striche, Punkte und Schraffuren interpretierte sie assoziativ auf dem Flügel.

Zeichnung als Partitur

Anschließend drehte sie die Zeichnung um 180 Grad und interpretierte sie erneut. So entstand eine vollkommen andere Interpretation der selben Zeichnung.

Zusammenspiel von kinetischem Objekt und Flügel

Die zarten Klänge von Bambus-Stricknadeln auf hölzernen Xylophonen weckten bei der Pianistin die Assoziation zu dem Stück „In a landscape“ von John Cage. In dieser Aufnahme ist das Stück zusammen mit den zufälligen Klängen der Installation zu hören.